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Horst Köhler: Bewußt mißverstanden

Ein Nachruf

Horst Köhler entstammte einer Bauerfamilie aus Ryschkanowka aus Bessarabien (heute: Rîşcani in der Republik Moldau), nachdem Bessarabien von der Sowjetunion besetzt wurde, wurde die Familie 1940 in das Generalgouvernement umgesiedelt. Köhler kam hier, in Heidenstein (poln. Skierbieszów) auf die Welt. Vor polnischen Partisanen und der Roten Armee ergriff Familie Köhler 1944 die Flucht und landete in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). 1953 verließen die Köhlers die DDR.

Nachdem die Familie Köhlers mehrere Flüchtlingslager durchmachte, landete sie in Ludwigsburg; Horst Köhler studierte Volkswirtschaftslehre und arbeitete und promovierte am Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen. Seine Beamtenlaufbahn begann 1976 in der Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums. Unter Helmut Kohl gehörte Köhler zu den Architekten der Währungsunion. 2000 wird er Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Im Interview mit der FAZ (29. Dezember 2009, S. 3) äußert Köhler sich zu den Zeiten der Flucht:

„Ich sehe mich nicht als Vertriebenen. Vertrieben wurden die polnischen Menschen, in deren Haus meine Eltern damals eingewiesen wurden. Das sichtbare Zeichen in Berlin [dem geplanten Zentrum für Vertreibung] sollte die Ursachen von Flucht und Vertreibung gleichermaßen wie die Leiden der Menschen verdeutlichen. Und es sollte einen Beitrag zur Versöhnung zwischen den Völkern leisten. Ich finde die Idee gut, das Projekt in ein europäisches Netzwerk der Erinnerung an Flucht und Vertreibung einzubringen“

Zu dem seinerzeit geplanten Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig meint Köhler:

„Deutschland sollte sich einer offenen Diskussion darüber nicht versperren. Zwischen den Vorhabensehe ich keinen grundsätzlichen Gegensatz. Sie könnten wichtige Teile des europäischen Netzwerks sein.“

Daß Frau Erika Steinbach, die Präsidentin des BdV in Polen als „Persona non grata“ gelte:

„Ich setze darauf, dass beide Seiten eine Lösung finden können. Die polnische Seite wird aber sicher Verständnis dafür haben, dass über deutsche Personalfragen in Deutschland entschieden wird [ . . . ]
Es gibt für mich keinen überzeugenden Grund, die Vertriebenenverbände von diesem Projekt auszuschließen. Ihr Sachverstand sollte hilfreich sein.“

Es sei erinnert, daß seinerzeit Außenminister Westerwelle (FDP) gegen eine Beteiligung von Frau Steinbach und der Landsmannschaften sich stark machte. Über das damalige Gezerre um ein Zentrum für Flucht und Vertreibung werden wir noch zurückkommen.

Die Süddeutsche berichtete am 31. Mai 2010, über den überraschenden Rücktritt des Bundespräsidenten. Die Zeitung brachte hierbei den Wortlaut eines auf dem Rückflug einer Chinareise, nach einem Zwischenaufenthalt in Massar-I-Sharif (Afghanistan) dem Deutschlandradio gegebenen Interviews Horst Köhlers:

„Aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“ (https://www.sueddeutsche.de/politik/ruecktritt-von-koehler-das-umstrittene-interview-im-wortlaut-1.952332)

Das Interview wurde am 22. Mai 2010, Samstag vor Pfingsten – Deutschland gerade war mit dem Allerwichtigsten, dem Kurzurlaub im Süden beschäftigt – ausgestrahlt:

„Die Kollegen des Deutschlandradios (Berlin) und des Deutschlandfunks (Köln) hatten es nämlich unterschiedlich zusammengeschnitten. Was später für die Kritik sorgte, war bei den Berlinern zuhören, nicht aber bei den Kölnern. Und da die Kölner Fassung dann auch in den gemeinsamen Internetauftritt wanderte, war dort etwas anderes zu lesen, denn im Deutschlandradio zu hören“ (FAZ: 1. Juni 2010, S.33).

Verschwörungstheorien schossen ins Kraut. Die Sache eskalierte am Mittwoch, als bei Spiegel online Köhlerkritiker aus SPD und Linke zu Wort kamen:

„»Wir wollen keine Wirtschaftskriege« führen, sagte etwa der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann; Deutschland führe in Afghanistan »keinen Krieg um Wirtschaftsinteressen, sondern es geht um unsere Sicherheit«, Köhler habe offen gesagt, was nicht zu leugnen sei, sagte der Linke-Chef Klaus Ernst: »In Afghanistan riskieren Bundeswehrsoldaten Gesundheit und Leben für die Exportinteressen riesiger Konzerne.« Das Bundeskanzleramt wollte Köhler nicht beispringen, in einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag hieß es, man pflege Einlassungen des Bundespräsidenten nicht zu kommentieren“ (FAZ: 1. Juni 2010, S.33).

Neuestens nennt sich, was dann folgte, Shitstorm. Daß Angela Merkel und Guido Westerwelle es waren, die Horst Köhler auserkoren hatten, um die rot-grüne Mehrheit zu kippen, steht auf einem anderen Blatt: davon in unserer nächsten Kurier-Ausgabe.

Nach dem Rücktritt Horst Köhlers vom Amt des Bundespräsidenten am 31. Mai 2010 war die deutsche Öffentlichkeit gespalten: Hier kann nicht über diese Stimmungslage ausführlich berichtet werden. In einem Leserbrief [FAZ vom 28. März 2012] schreibt der Ex-AfDler, Prof. Joachim Starbatty, Köhler habe selbst gesagt,

„keine »selbstgebastelte Führungsphilosophie« zu besitzen. Er hat seinem Land in vielen verantwortlichen Stellen gedient und auch international gewirkt. Das gelingt einem Menschen nur, wenn er fachlich und menschlich überzeugt; dazu gehört auch, Menschen führen und begeistern zu können. Daher vertraut Köhler auf seine Lebenserfahrung [ . . . ] Die Bürger in unserem Land wissen [ . . . ]; sie haben Horst Köhler vertraut. Sie haben gespürt, der will nicht etwas von uns, sondern für uns.“

Horst Köhler verstarb am Morgen des 1. Februar 2025 nach einer kurzen schweren Krankheit.
Deutschland verliert einen begnadeten Wirtschaftsfachmann und eine aufrechte, ehrliche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.

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