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Rumänien 1987: Hungerrevolte in Kronstadt gegen den kommunistischen Diktator Ceauşescu

Am 15. November 1987 – einem Wahlsonntag für die kommunalen Volksräte – stürmten aufgebrachte Arbeiter in Kronstadt (rum. Braşov) die Büros der einzigen kommunistischen Partei und die des Bürgermeister, verwüsteten diese, plünderten die für die Parteiparty der Parteibonzen vorgesehenen Lebensmittel und legten Feuer:

„Würste, Käse, Schweineschmalz, Konfekt und Apfelsinen, alles Waren, die Brasovs Bürger schon seit Jahren nicht mehr zu kaufen bekommen, landeten auf der Straße. Bei einer Schlägerei im Rathaus mit dem Wachpersonal gab es Schwerverletzte, einige Augenzeugen berichteten sogar von zwei Toten. Bürgermeister Calancea, der einen Schlag mit einem Knüppel auf den Kopf bekommen hatte, mußte ins Krankenhaus gebracht werden“ (SPIEGEL, S. 154).

Auslöser der Revolte war die Forderung der Kombinatsleitung des Lastwagenherstellers „Steagul Roşu“ (Rote Fahne) an die Nachtschicht – im sozialistischen Rumänien wurde auch Samstag malocht –, geschlossen zu den Wahlurnen zu gehen.

„Mehr als 1500 Arbeiter, ohnehin wegen bevorstehender Lohnkürzungen erbost, marschierten Richtung Innenstadt und bekamen Zulauf von allen Seiten. Die Ortspolizei, die den Zug zunächst für eine Pro-Ceausescu-Demonstration hielt, griff nicht ein.
Am Ende waren es fast 5000 Menschen, die das Rathaus und die Parteibüros besetzten. Sie machten ihrer Wut Luft über ein von oben verordnetes Sparprogramm, das den Rumänen nun schon den vierten Hungerwinter hintereinander beschert“ (SPIEGEL, S. 154).

Mit massiven Einsatz der Sicherheitskräfte sowie der Armee mit Schützenpanzer konnte der Aufstand unterdrückt werden: „Mehr als 400 »Rädelsführer« wurden verhaftet, fast die Hälfte davon – so inoffizielle Berichte – gehörte der deutschen Minderheit an. Alle Häftlinge kamen in Gefängnisse nach Bukarest, aus Furcht vor weiteren Aufständen“ (SPIEGEL, S. 154).

In den gleichgeschalteten Medien wurde nichts über die Vorkommnisse in Kronstadt verlautet. Nicolae Ceauşescu, der rumänische Conducator (dt. Führer), und seine Genossen wurden von dem Aufbegehren in der Provinz völlig überrascht: Der Direktor der Roten Fahne und weitere Funktionäre wurden abgesetzt.

Ceauşescus „Hang zur Gigantomanie“ führte seit den 1960ern zu einer überhasteten Industrialisierung, zum Nachteil der Landwirtschaft, der die Arbeitskräfte abwanderten. Hochwertige Lebensmittel wurden gegen harte Devisen nach Ost – u.a. nach Polen, während der Solidarność-Bewegung und den Westen verscherbelt, um die Auslandsschulden so schnell wie möglich abzubauen. Er meinte, die völlige Schuldenfreiheit „sei der Garant für eine unabhängige Außenpolitik“ (SPIEGEL, S. 156).

Um aber die inzwischen stark aufgebaute „petrochemische“ Industrie – trotz versiegender Erdölquellen – am Laufen zu halten, mußte Erdöl importiert werden:


„Als Ausweg blieb nur, entweder teures Erdöl gegen Devisen zu importieren oder den ungeliebten Nachbarn, die Sowjet-Union, um Hilfe zu bitten. Moskaus Öllieferungen sind in den letzten Jahren von zwei auf über sechs Millionen Tonnen gestiegen. Aber auch der Kreml läßt sich in harten Dollars bezahlen – oder mit Waren von hoher Qualität, in letzter Zeit vor allem Fleisch und Getreide“ (SPIEGEL, S. 155).

Ein rigoroses Sparprogramm wurde von oben angeordnet:

„Seit 1981 sind Grundnahrungsmittel wie Fleisch, Brot, Zucker und Speiseöl rationiert, seit vier Jahren müssen die Rumänen jeden Winter immer mehr elektrische Energie einsparen – in diesem Jahr noch einmal 30 Prozent zusätzlich.
Die Raumtemperatur, so das Dekret, darf in Privatwohnungen, aber auch in Amtsstuben, 12 Grad nicht überschreiten (bei Außentemperaturen, die im rumänischen Winter häufig auf 30 Minusgrade absinken). Elektrisches Licht gibt es pro Wohnung nur in einem Zimmer aus einer trüben 40-Watt-Birne.
Elektrische Haushaltsgeräte oder gar Heizsonnen sind bei hohen Strafen verboten. Ortschaften und Vierteln, die das zugestandene Limit überschreiten, wird der Strom stundenweise ganz abgestellt – mit dem Ergebnis, daß in einem Bukarester Krankenhaus die Frühgeborenen in den Brutkästen erfroren.
Die Geschäfte sind meist so leer, daß sich noch nicht einmal mehr Käuferschlangen anstellen, außer fauligen Kartoffeln und welkem Kohl ist selten etwas zu haben.
Die Lebensmittel-Rationen sind inzwischen so karg bemessen wie in den schlimmsten Kriegsjahren: pro Person 300 Gramm Brot täglich, im Monat drei Liter Milch, 315 Gramm Butter, neun Eier und 1,42 Kilogramm Geflügel, das oft nur aus Köpfen und Gekröse besteht“ (SPIEGEL, S. 155f.).

Die Reaktion der Bevölkerung: Auf einer Mauer aus Kronstadt: „»Ob wir verhungern, erfrieren oder erschossen werden, das ist uns egal«“ und ein Siebenbürger Sachse meint: „»Unsere Region, die einmal die blühendste im ganzen Land war, ist ausgebrannt wie Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg«“ (SPIEGEL, S. 156).

Dem Conducator gelang es bis Herbst 1989, also kurz vor der sogenannten Revolution, die Rückführung der rumänischen Auslandsschulden. Auf einem amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen vor Malta wurde beschloßen, daß Nicolae Ceauşescu zum Rücktritt gezwungen werden müsse . . .

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