In Barnaul, der Hauptstadt des weithin als
„Steppen-Altai“ bekannten sibirischen Altai-Gaus, der nach der Vertreibung der
Russlanddeutschen aus Europa deren letztes großes Siedlungszentrum innerhalb
der Russländischen Föderation bildete, wurde das dritte „Deutsche Kultur- und
Geschäftszentrum“ auf russischem Boden eröffnet. Zwei frühere solche Zentren gibt
es formalrechtlich seit 2016 im sibirischen Omsk und seit 2017 in ostpreußischen
Königsberg. Diese neue Form russlanddeutscher Einrichtungen soll die bisherigen
Deutsch-Russischen Häuser (DRH) ersetzen, die im Zeichen politischer Spannungen
seit 2014 zum Teil unter Beschuss geraten und wegen oftmals absurder Anwürfe
von der Schließung bedroht waren.
Im Gebiet Barnaul wurde zwar der 1938 unter Stalin liquidierte Deutsche
Nationalrayon Halbstadt 1991 wiedererrichtet, aber weder dies noch
Investitionen des BRD-Innenministeriums in die örtliche Infrastruktur konnten den
Exodus der Russlanddeutschen verhindern. Armut oder gar die Gier nach
Sozialleistungen spielten dabei entgegen den Kolportagen antideutscher Kreise in
der Bundesrepublik keine Rolle: Die Deutschen dieses Gebietes hatten es durch
ihre meisterliche Beherrschung der Landwirtschaft und persönlichen Fleiß trotz
schwierigster Bedingungen zu einem erheblichen Wohlstand gebracht, unter
materiellem Mangel litt hier trotz bekannter sowjetischer Versorgungsengpässe
niemand. Wer ging tat dies vor allem, um die eigene Kultur für seine Kinder zu
bewahren. Inzwischen sind im Gebiet laut Ausweis der letzten Volkszählung nur
noch gut 50.000 und in der Realität vielleicht um die 100.000 Deutsche
übriggeblieben, die auch bei Ansatz der letzteren Zahl weniger als fünf Prozent
der Einwohner, aber immer noch die nach den Russen zweitgrößte
Bevölkerungsgruppe stellen. Ihre Bedeutung für die regionale Wirtschaft ist
kaum zu überschätzen, und eine weitere Abwanderung infolge eines Menetekels wie
der Schließung eines DRH wäre für Sibirien verhängnisvoll.
Dies sah auch die russische Führung in Moskau so, die daraufhin auf
irrlichternde eigene wie regionale Verwaltungsteile einwirkte. Das bisherige
ursprünglich von der deutschen Bundesregierung finanzierte, zuletzt aber unter
Verweis auf finanzielle Engpässe des Gebiets infrage gestellte Deutsch-Russischen
Haus konnte in der Folge für die neue Verwendung mit deutschen Steuermitteln nochmals
umgebaut und schließlich in Anwesenheit von Vertretern des Gaus, der
Russlanddeutschen sowie des Aussiedlerbeauftragen der deutschen Bundesregierung
seiner Bestimmung übergeben werden. Der Hauptverfechter der Umorganisation,
Heinrich Martens, ein in Moskau und Berlin gleichermaßen hofierter russlanddeutscher
Politiker, verwies dabei auch im Namen der von ihm geführten
Volksgruppenorganisationen „Internationaler Verband der Deutschen Kultur“ und
„Föderale National-Kulturelle Autonomie der Russlanddeutschen“ durchaus zurecht
auf die für alle Beteiligten gegebenen Vorteile einer Verbindung von Kultur-
und Privatwirtschaftsförderung mit einem geschäftlichen Kontakt nach
Deutschland.
Thomas W. Wyrwoll